Die Digitale Transformation ist für produzierende Unternehmen einer der größten Veränderungstreiber im Zuge der letzten Jahre. Getrieben durch die zunehmende Digitalisierung in der Industrie, stehen die Unternehmen vor der Herausforderung digitale Potenziale und Technologien gewinnbringend einzusetzen und so dem Visionsbild der Industrie 4.0 Schritt für Schritt näherzukommen.
In der sogenannten VUCA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) agieren die Unternehmen in einem dynamischen, komplexen und unsicheren Umfeld. Der Markt ist schnelllebig und volatil, Produkt- sowie Technologielebenszyklen verkürzen sich immer drastischer und die Kundenerwartungen sind sehr hoch.
Daraus ergeben sich enorme Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Supply Chain der Unternehmen. Änderungen bezüglich der Produktspezifikationen und -anforderungen während der Auftragsabwicklung kommen nicht selten vor und erfordern eine hohe Reaktionsfähigkeit sowie ein adaptives Verhalten dieser Unternehmen.
Um den wachsenden Herausforderungen in der Supply Chain erfolgsversprechend zu begegnen, sollten die Unternehmen einen durchgängigen Daten- und Informationsfluss in ihrer Lieferkette gewährleisten.
Ein Konzept, welches im Kontext von Industrie 4.0 diskutiert wird, ist der sogenannte Digitale Schatten.
Damit wird „in hinreichender Genauigkeit das Abbild der wesentlichen Daten in der Produktion, Auftragsabwicklung, Entwicklung oder anderen nahen Bereichen“ verstanden. Der Digitale Schatten soll einen End-to-End-Datenstrom gewährleisten, wodurch alle Fachbereiche in der Lieferkette über den aktuellen Status verschiedener Aufträge informiert sind. Dadurch sollen beispielsweise Informationen bezüglich auftretender Änderungen durch einen Kunden übergreifend für alle Bereiche der Supply Chain transparent vorliegen.
Die Potentiale eines Digitalen Schattens der Supply Chain.
Die Durchgängigkeit eines bereichsübergreifenden, echtzeitfähigen Datenstroms soll zum einen die Reaktionsfähigkeit auf Basis einer fundierten Datengrundlage erhöhen. Zudem soll die Umsetzungsgeschwindigkeit von Maßnahmen durch verkürzte Latenzzeiten in der gesamten Supply Chain gesteigert werden. Der Digitale Schatten ist prinzipiell die Voraussetzung für die Durchführung von einfachen und komplexen Datenanalyse-Methoden sowie Szenarioanalysen.
➜ Wie können die Unternehmen einen Digitalen Schatten der Supply Chain entwickeln?
➜ Welche Anforderungen müssen erfüllt werden, um eine geeignete Ausgangslage dafür zu schaffen?
Die konkreten Fragestellungen wurden anhand von Interviews mit Experten diskutiert.
Im Rahmen dessen sind zahlreiche Anforderungen aufgenommen worden, die drei Dimensionen zuzuordnen sind: kulturelle, technische und organisatorische Anforderungen.
Dimension der Kultur.
Im Zuge der ersten Dimension wurden kulturelle Aspekte untersucht, die bei der Einführung eines Digitalen Schattens berücksichtigt werden müssen.
Zunächst ist es entscheidend, dass auf ein Change-Management fokussiert wird. In diesem Zuge sollte eine zentrale Treiberrolle definiert werden, die den digitalen Wandel in der Organisation vorantreibt. Dies könnte beispielsweise ein Chief Digital Officer oder ein Supply Chain Manager mit entsprechenden fachlichen als auch IT-spezifischen Kenntnissen sein. Zusätzlich gilt es, den Nutzen eines Digitalen Schattens der Supply Chain grundlegend zu erkennen und auch für alle beteiligten Akteure aufzuzeigen. Es wird empfohlen, mit einem Leuchtturmprojekt zu starten und ein kleines Projektteam mit engagierten und hochmotivierten Mitarbeitern aufzustellen, die aktiv in das Veränderungsvorhaben eingebunden werden. Nachdem die ersten Erfolge in diesem Pilotbereich gefeiert werden, sollten auch kleine „Success-Stories“ unternehmensweit kommuniziert werden, um mögliche Ängste und Sorgen bei den Mitarbeitern im Zuge der Veränderungsmaßnahmen zu nehmen.
Weiterhin ist es erforderlich, dass mit dem Digitalen Schatten auch andere Arbeitsweisen notwendig werden. Dabei kann eine umfangreiche Datenstrategie hilfreich sein, die die Wichtigkeit festigt sowie den effektiven Umgang mit Daten vorgibt. Aus unternehmenskultureller Sicht ist es außerdem entscheidend, eine kollaborative Denkweise nachhaltig zu verankern. Damit einhergeht das Aufbrechen des möglicherweise vorherrschenden Silodenkens. Nur so können Daten auch dezentral und durchgängig verfügbar gemacht sowie unternehmensweit geteilt werden. Das kollaborative Denken und Handeln der Mitarbeiter ist die notwendige Voraussetzung für eine transparente Supply Chain.
Dimension der Technik.
Für die technischen Dimensionen sind weitere Anforderungen identifiziert worden, die zur Einführung eines Digitalen Schattens erfüllt sein sollten. Im Vordergrund stehen hierbei besonders eine valide Datenbasis und der richtige Einsatz von IT-Systemen.
Zum Aspekt der Datenbasis zählen eine verlässliche und hohe Qualität der vorliegenden Daten sowie deren Echtzeitfähigkeit, insofern dies für den Anwendungsfall des zu konzipierenden Digitalen Schattens notwendig ist. Zudem sollte ein Data-Lake als zentrale Stelle zur Sammlung aller wichtigen Daten aufgebaut werden. Über den geschickten Einsatz von Business-Intelligence- sowie Datenvisualisierungs-Tools, werden die Daten zielgerichtet ausgewertet und visuell aufbereitet, um sie besser zu analysieren.
Neben der Datenbasis spielt auch der Einsatz der IT-Systeme zur Generierung der Daten eine entscheidende Rolle. Hierbei ist es wichtig, dass die Systeme im Unternehmen so weit wie möglich einheitlich sind und in einer integrierten Systemlandschaft eingesetzt werden. So ist sichergestellt, dass die Systeme miteinander kommunizieren können, um einen störungs- und verlustfreien Datenstrom zu garantieren. Besonders wichtig ist die Integration und Vernetzung der einzelnen Supply Chain Bereiche über Systemschnittstellen, damit keine isolierten Datensilos entstehen. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass das Potenzial der bestehenden Systeme so weit wie möglich ausgeschöpft werden sollte. Hier können die Unternehmen durch Schulungen der Softwarehersteller nachhelfen.
Dimension der Organisation.
Die dritte Dimension umfasst die organisationalen Anforderungen. Die beiden Unterkategorien sind hier zum einen die Prozesse und Abläufe und zum anderen das Wertschöpfungsnetzwerk.
Im Zuge der Prozesse und Abläufe sollte zunächst die Prozesslandschaft klar definiert sein. Hierfür eignen sich Prozessreferenzmodelle wie das SCOR-Modell. Anhand solcher Modelle können die Supply-Chain-Prozesse gestaltet und optimiert werden. Auf dieser Basis kann dann der Digitale Schatten aufgebaut werden. Ein weiterer Aspekt ist die Digitalisierung und Automatisierung der Geschäftsprozesse, die ebenfalls die Gestaltung des digitalen Abbilds beeinflussen.
Daneben gilt es, das Wertschöpfungsnetzwerk effizient zu gestalten. Hier stehen vor allem Aspekte wie die Zusammenarbeit mit den externen Supply-Chain-Akteuren – also den Lieferanten und Kunden – im Vordergrund sowie deren Integration in die prozessualen Abläufe. Zudem ist ein transparenter Informationsfluss entlang der Supply Chain erforderlich, der durch bestimmte Standards und Schnittstellen gewährleistet werden kann.
Ergebnisse & Ausblick.
Auf Grundlage von Experteninterviews konnten relevante Anforderungen für die individuelle Gestaltung eines Digitalen Schattens in der Supply Chain abgeleitet werden.
Der Digitale Schatten kann als Datengrundlage genutzt werden, um mit Hilfe der generierten Daten Optimierungspotentiale aufzudecken und neue Services, bis hin zu Geschäftsmodellen zu entwickeln. Im Vordergrund stehen hier digitale Anwendungsmöglichkeiten wie künstliche Intelligenz, Supply Chain Analytics oder autonome Lager, die durch den Digitalen Schatten als datenliefernde Ausgangsbasis entwickelt und etabliert werden können.
Downloaden Sie sich den Artikel als PDF >>HIER<<.
*Hinweis*: Aus Gründen der Lesbarkeit wird in diesem Text auf eine durchgehende Genderung verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.